logo sito Fratus modern U HD

 

Gewaltiger Exodus gen Europa

Herr Fratus, ist Afrika noch zu retten?
Fabrizio Fratus: Das glaube ich, ja. Durch unser Hilfswerk Reach Italia bekommen zum Beispiel Kinder dort pro Monat 25 Euro, um für diese Zeit ihre Versorgung mit Nahrung, Gesundheits- fürsorge und Bildung sicherzustellen. Durch unsere Erfahrung sind wir überzeugt, daß eines der schlimmsten Probleme Afrikas der Analphabetismus ist.

Nicht Hunger, Durst oder Krieg?
Fratus: Seine Staaten befinden sich auf verschiedenen Entwicklungsstufen und haben daher verschiedene Probleme. Doch blickt man auf Afrika insge- samt, wird deutlich, daß Analphabetis- mus und Bildungsmangel ein struktu- relles Problem des ganzen Kontinents sind. Warum? Weil überall in Afrika die Menschen unter der unfairen Umver- teilung der Ressourcen leiden, da das zu tiefer Armut der großen Mehrheit der Bevölkerung führt. Ursache ist die Ausbeutungspolitik einiger westlicher Mächte, aber auch der Mangel an ein- heimischen gebildeten Eliten. Denn wer eine Ausbildung erhält, geht fast immer in den Westen. Zum Beispiel arbeiten inzwischen fünfzig Prozent der Ärzte Malawis, eines der ärmsten Länder der Welt, in London. Burkina Faso, wo ich regelmäßig bin, ist sogar das zweitärmste Land der Welt, gleichzeitig aber einer der wichtigsten Lieferanten für Gold. Ohne ausgebildete Elite können die Staaten ihre Rohstoffe nicht zu ihrem Nutzen verwenden – doch ohne das wächst der Inlandskonsum nicht. Und ohne den gibt es kein Wirtschaftswachstum.

Hat Afrika aber inzwischen nicht ein noch viel drängenderes Problem – nämlich sein ungeheures Bevölkerungswachstum?
Fratus: Nein, das Bevölkerungswachs- tum selbst ist kein Problem.

Wie bitte? Das sagt doch jeder Experte!
Fratus: Ich weiß, doch ich sage: Ein Problem entsteht daraus erst dann, wenn das Bevölkerungswachstum nicht von Wirtschaftswachstum begleitet wird. Heute hat der Schwarze Kontinent etwa 1,3 Milliarden Einwohner, in wenigen Jahrzehnten aber werden es drei Milli- arden sein! Und ja, ohne entsprechen- de Volkswirtschaft wird das zu einem gewaltigen Exodus gen Europa führen.

Ab welcher Bevölkerungszahl genau wird die Krise eintreten?
Fratus: Wieso „wird“? Die hat längst begonnen! Und quasi täglich wird sie gefährlicher. Die Krise ist also längst da, sie schwillt nur weiter an, und gelingt es nicht, das wie von mir beschrieben aus- zugleichen, wird sie in der Tat in einigen Jahren zum riesigen Problem nicht mehr nur für Afrika, sondern auch für Europa.
„Ohne China, das in Afrika anderes will, geht es nicht“
Immer wieder heißt es aber, sowohl Afrika als auch Europa profitieren von Migration.
Fratus: Es gibt in der Geschichte kein Beispiel, in dem die Entvölkerung eines Landes diesem Fortschritt gebracht hat. Nehmen Sie etwa eine Auswanderungs- region wie Süditalien, die dadurch nichts gewonnen hat.

Sie meinen also, daß gegen die Gefahr, die infolge der afrikanischen Bevölkerungs- explosion entstehen wird, durchaus etwas getan werden kann?
Fratus: Ja, allerdings nur, wenn Europa zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit China findet.

Warum mit China?
Fratus: Nun, Großbritannien und Frankreich sind bekanntlich schon seit Jahrhunderten in Afrika präsent – haben dort allerdings nie ein solides und selbst- versorgendes System eingeführt. Heute haben zudem die USA durch von ihnen kontrollierte NGO – also die Nichtre- gierungsorganisationen – eine erhebliche Präsenz. Diese Mächte sehen sich inzwi- schen einem sehr starken Konkurrenten gegenüber – China. Doch anders als die westlichen Mächte investiert es dort oh- ne kapitalistische Ausbeutungsperspek- tive, weil Afrika für Peking ein Mittel ist, seine internen Probleme zu lösen.

China löst seine „internen Probleme“ in Afrika? Wie denn das?
Fratus: Das Reich der Mitte hat inzwi- schen etwa 1,5 Milliarden Einwohner – das sind rund zwanzig Prozent der Weltbevölkerung und es erlebt selbst ei- ne Bevölkerungsexplosion. Doch verfügt es nur über sieben Prozent der weltwei- ten Anbauflächen. Seitdem die indivi- duellen und kollektiven Ansprüche der Chinesen gestiegen sind, ist Peking auf der Suche nach neuen Nachschubquel- len für Nahrungsmittel, Energie und Ressourcen: in Asien, in Lateinamerika, vor allem aber in Afrika. Auch wenn die chinesische Güterverteilung besser als die afrikanische funktioniert, leidet das Riesenreich doch unter inländischem Ressourcenmangel – den es mit Inve- stition vor allem in Afrika beheben will.

Also eine Art neuer Kolonialismus?
Fratus: Nein, das hat mit klassischem, kapitalistischem Kolonialismus nichts zu tun. Doch entspricht diese Politik dem immer stärker werdenden Einfluß Chi- nas in der Welt. Ein Urteil darüber kön- nen aber nur die von Peking beeinfluß- ten Regierungen und Völker abgeben.

Und was halten die Afrikaner davon?
Fratus: Viele ihrer Regierungen sehen die chinesische Präsenz positiv, weil sie Geld ins Land bringt. Trotzdem aber führt das oft nicht zu Fortschritten vor Ort. Denn die Chinesen nutzen fast nie lokale Arbeitskräfte. Normalerwei- se schließen sie mit afrikanischen Re- gierungen Abkommen und kaufen sehr viel Land, auf dem dann importierte Chinesen arbeiten. Also: Anders als an- dere Mächte haben die Chinesen zwar kein Interesse, die sehr schwache afrika- nische Wirtschaft auszubeuten, kaufen das Land aber vor allem aus zwei Grün- den: Erstens, um Nahrungsmittel für das Mutterland anzubauen. Zweitens, um ganze Bevölkerungsteile nach Afrika zu verfrachten. In Zentralafrika hat Pe- king schon ganze Metropolen errichten lassen, die noch leer sind und auf Mas- senmigration aus der Heimat warten.
„Besonders unkooperativ sind die Proeuropäer“

Welchen Effekt wird das für Afrika haben?
Fratus: Aus unserer europäischen Perspektive ist die chinesische Methode sehr gefährlich, weil sie die afrikanische Massenauswanderung nach Europa anhei- zen könnte. Denn obwohl sie nicht das Ziel hat, Afrika auszubeuten, führt sie dort zur Entwicklung einer der einhei- mischen überlegenen Parallelwirtschaft. Es handelt sich also nicht um Hilfe vor Ort für die Afrikaner, so wie das nötig wäre, sondern lediglich um einen ökonomischen Austausch und den Transfer von Menschen – der aber den afrikani- schen Inlandskonsum nicht fördert! Und je intensiver die Chinesen diese Strategie verfolgen, desto weniger kommen die Afrikaner in den Genuß der Ressourcen ihrer Länder, die statt dessen die Chi- nesen nutzen. Doch seine Ressourcen nicht selbst auszubeuten bedeutet auch, kein Konsumwachstum zu haben. Was steigende Armut zur Folge hat und die- se wiederum steigende Auswanderung.

Und welche Lösung sehen Sie nun?
Fratus: Der italienische Ex-Premiermi- nister Romano Prodi sagte jüngst, daß wenn wir die Migrationswelle nach Eu- ropa regulieren wollen, wir mit Peking eine gemeinsame Strategie entwickeln sollten. China und Europa haben in diesem Bereich die gleichen Interessen. Dennoch aber scheint sich eine Zusam- menarbeit sehr schwierig zu gestalten.

Warum?
Fratus: Weil es den Europäern an der dafür nötigen Einheit fehlt. Denn eine einheitliche Zusammenarbeit mit China würde zur Verringerung des Einflusses einiger Staaten im englisch- und fran- zösischsprachigen Afrika führen, der ein
Erbe des Kolonialismus ist.

Ein Entschärfung der Gefahr, die aus der Bevölkerungsexplosion erwächst, steht also im Widerspruch zu – im Klartext – den Interessen von Briten und Franzosen?
Fratus: Sie steht im Widerspruch zu den Interessen jeder Macht, die einen spezifischen Einfluß auf afrikanische Re- gierungen hat. Es sind übrigens gerade jene europäischen Regierungen, die sich besonders gern betont proeuropäisch ge- ben, die bis heute nicht dazu bereit sind, auch nur einen kleinen Teil ihrer Inter- essen für eine gemeinsame europäische Strategie in Afrika aufzugeben. Aber es ist sowieso erstaunlich: In Europa wird fast nur noch von der Massenzuwan- derung gesprochen. Und trotzdem hat Afrika für Europa keine Priorität, wie es konsequenterweise eigentlich sein müß- te. Man starrt also immerzu auf die dro- hende Konsequenz, statt sich ebenso ih- rem Ursprung zu widmen.

„Durch Salvinis Politik weniger Tote im Mittelmeer“
Sollte Ihr Vorschlag einer europäisch-chine- sischen Strategie zur Entwicklung Afrikas nicht zustande kommen oder nicht den er- hofften Effekt zeigen, wird Europa immer gewaltigere Migrationswellen erleben. Was dann, die „Festung“ schließen?
Fratus: Das Problem ist, daß der Mi- grationsdruck irgendwann so stark sein wird, daß auch die Schließung der eu- ropäischen Südgrenze im Mittelmeer keine nachhaltige Lösung bringen wird.

Warum nicht? Italiens derzeitige Politik etwa hat doch schon Erfolge gebracht.
Fratus: In der Tat muß man zugeben, daß die Grenzverteidigung Roms und die Bekämpfung illegaler Schlepper zur drastischen Senkung der Zahl der Toten im Mittelmeer geführt haben. Man muß aber bedenken, daß dieser Erfolg nicht nur der Politik des italienischen Innenministers Matteo Salvini zu verdanken ist, sondern auch dem Umstand, daß die Zahl der Einwanderer aus Libyen an sich in den letzten Monaten gesunken ist.

Moment, steht das nun nicht in Wider- spruch zu dem, was Sie bisher gesagt haben?
Fratus: Nein, weil ich nur von der Ein- wanderung via Libyen gesprochen ha- be. Die Zahl der zentralafrikanischen Migranten, die es derzeit noch schaf- fen, das Land zu erreichen, um von dort nach Italien überzusetzen, ist zur Zeit nur noch gering.
„Ausgerechnet Islamisten regulieren die Migration“

Was ist der Grund dafür?
Fratus: Weil der Großteil der Migran- ten in Mali, Niger und Burkina Faso gestoppt wird. Und zwar von lokalen islamistischen Milizen, die in diesen Staaten Krieg führen – auch wenn die Medien fast nie darüber berichten. Denn als vor ein paar Jahren klar wurde, daß die Dschihadisten den Krieg in Syrien und Irak verlieren würden, haben ihre Anführer einen Plan B entwickelt und begonnen, sich stark in Mali, Niger und Burkina Faso zu engagieren, wo ihre Ein- heiten heute den Norden dieser Länder teilweise kontrollieren und für Unsicher- heit sorgen. So finden dort regelmäßig Anschläge statt, und man kann nicht mehr durchreisen.

Fördert das nicht gerade Flucht und Mi- gration?
Fratus: Eigentlich ja, aber da die Kämp- fer die Migranten abfangen und ihnen sogar guten Lohn bieten, wenn sie sich ihnen anschließen, doch nicht. Wir Eu- ropäer aber sehen uns der paradoxen Si- tuation gegenüber, daß es gerade die is- lamistischenTerrorgruppensind,diedie Migration verringern. Das ist gefährlich, weil wir so in die Lage kommen könnten, mit diesen verhandeln zu müssen, um künftig Migration zu regulieren.

Also, was tun?
Fratus: Erstens, die Politik der europä- ischen Staaten so stark wie möglich auf Afrika fokussieren! Zweitens, die rich- tigen Ansprechpartner finden – wie ge- sagt, vor allem China! Italien hatte üb- rigens vor einigen Jahren bereits gute Ansprechpartner vor Ort gefunden, etwa Muammar al-Gaddafi in Libyen. Sicher, er war ein Diktator, aber mit ihm konnte man reden und die Migration regulie- ren. Leider jedoch wurde er 2011 von den Alliierten Italiens gestürzt. Letztlich werden uns angesichts der Bevölkerungs- entwicklung Regulierung und Eindäm- mung allein nicht helfen und, drittens, ohne langfristige Investitionen nach dem Konzept der Hilfe vor Ort wird Europa sich vor dem, was da in Afrika entsteht, nicht retten können.

ALESSANDRO PETRI
Gewaltiger Exodus gen Europa
 

 

SOVRANITÀ E IDENTITÀ LE SFIDE DEL TERZO MILLENNIO

COPERTINA SOVRANISTI A MILANO EBOOK

NOTA! Questo sito utilizza i cookie e tecnologie simili.

Se non si modificano le impostazioni del browser, l'utente accetta. Per saperne di piu'

Approvo